Das glänzende Licht drängte sich durch seine Augenlider. Der Transporter hatte angehalten. Die Tore waren aufgestossen worden. Aadil schreckte aus einem unruhigen Schlaf auf. Er kniff seine Augen zusammen. Wo waren sie? Was war los? Wie lange war er weg gewesen? Er hatte komplett die Orientierung verloren.
Dann der Schock. Mayla?!
Er brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass sie noch immer in seinen Armen lag. Fest versunken in einem unendlich tiefen Schlaf. Sie sah so friedlich aus, als hätte sie vollkommen vergessen, auf was für einer Reise sie gerade waren. Als läge sie zu Hause in ihrem Bett. Bei ihrem geliebten Mr. Jingles. Und ihren Zeichnungen an der Wand. Und Opa Ensar.
»Alle raus! Sofort!« schrie eine düstere Stimme in den Laderaum und vertrieb mit einem Mal alles Friedvolle. Aadil vermutete den Fahrer des Lastwagens.
»Hört ihr schlecht? Ihr sollt aussteigen!« Eine zweite Stimme. Eine Frau. Aadil war überrascht.
»Na los jetzt. Tempo«, doppelte der Mann nach. Er war ein Hüne von beängstigend kräftiger Postur. Vermutlich über zwei Meter gross. Mit dickem Bauch und vollem Bart. Kein Mensch, den man wütend machen wollte.
»Wach auf, meine Kleine.« Vorsichtig aber bestimmt stupste er Mayla an. Sie kam nur langsam zu sich. Sie zwängten sich auf die Beine und drückten sich durch die Schafe hindurch in Richtung Ausgang.
Die Hitze war grauenvoll. Und doch hatte sie etwas Gnadenbringendes. Denn schliesslich brachte sie auch frische Luft mit sich. So schien es jedenfalls im ersten Moment. Dann drückte sich der nächste beissende Geruch in Aadils Nase. Er konnte ihn nicht einordnen. Doch es stank fürchterlich. Aadil musste sich beinahe übergeben.
Für Mayla gab es kein Beinahe. Kaum hatten ihre kleinen Füsse den Boden unter sich, kippte sie nach vorne auf die Knie und entleerte ihren Mageninhalt direkt vor die Füsse des Hünen.
»Spinnst du!« schrie er sie an und holte mit seinem Fuss zu einem kräftigen Tritt aus.
»Nein!« rief Aadil und schob sich zwischen Mayla und den Riesen. Mit voller Wucht rammte sich der schwere Stiefel gegen sein Schienbein. Aadil brach unmittelbar zusammen. Er schrie auf.
»Willst wohl ein Held sein, was?« spottete der Grosse. »Das hast du davon. Und jetzt schau, dass sich dein Gör vom Acker macht. Aber dalli!«
»Komm, Mayla. Ist schon gut.« Vorsichtig zog er sie nach oben. Langsam und mit schmerzhaftem Schritt folgte er den anderen Männern aus dem Laster.
Die junge Frau an der Seite des Hünen hatte kein Wort mehr gesagt seit sie ausgestiegen waren. Doch hinter seinem Rücken hörte er sie plötzlich leise sprechen. Aadil konnte nur die Worte »Mädchen« und »sicher« erhaschen. Irrte er sich oder klang sie besorgt?
»Hey! Batman«, pfiff ihn der Riese zurück. Aadil drehte sich um. »Komm mal her.«
Auf alles gefasst, ging er mit sachtem Schritt zurück an den Platz, wo er gerade eben einen schmerzhaften Schlag verpasst bekommen hatte. Mayla hielt er schützend hinter seinem Rücken.
»Bist du sicher, dass es ’ne gute Idee ist mit dem kleinen Zuckerpüppchen aufs Schiff zu gehen?« Er grunzte hämisch vor sich hin. »Das da ist nicht mehr unser Zuständigkeitsbereich.«
Mit seiner Hand deutete er von sich weg. Aadil blickte sich zum ersten Mal richtig um. Sie standen auf einer Anhöhe irgendwo im Nirgendwo. Etwas weiter unten konnte er zwischen den Gebüschen das Wasser erkennen. Und darauf ein kleines altes Fischerboot. Obwohl er nur Teile davon erblicken konnte, kam es ihm in keiner Weise seetauglich vor. Dieser Albtraum schien immer schlimmer zu werden.
»Meine … Kollegin«, er sprach das Wort mit bewusster Abscheu aus. Aadil konnte nur vermuten, wie begeistert er von dem Gedanken gewesen war, mit einer Frau zusammenzuarbeiten. Doch aus irgendeinem Grund schien sie wichtig zu sein. Schliesslich hatte er auf sie gehört.
»Sie ist der Ansicht, dass wir dir einen kleinen Gratistipp geben sollten.«
© Samuel Vetsch | 2020