Doch die erhoffte Rettung blieb aus.
Egal wohin er blickte; keine Menschenseele verirrte sich in ihre Nähe. Zwei weitere Tage trieben sie auf dem offenen Meer.
Es war der vierte Abend, als Aadil spürte, wie ihn seine Kräfte endgültig verliessen. Seine Verletzungen machten ihm zu schaffen. Seine Haut brannte. Sein Körper verzehrte sich nach Wasser und Nahrung.
Langsam zog er seine kleine Mayla zu sich und sagte erschöpft: »Mayla, mein Engel. Ich werde jetzt etwas schlafen. Okay?«
»Okay, Papa«, sie blickte ihn verunsichert an.
»Tu mir einen Gefallen«, bat er sie. »Vergiss nicht das Feuerwerk anzumachen, wenn jemand kommt.«
Er nahm sich einen weiteren Moment und ergänzte mit schwerer Stimme: »Und denk daran, dass du mich in unserem Zuhause jederzeit besuchen kannst, ja?«
Mit einem Mal drängten sich Tränen in Maylas Augen. »Wieso sagst du so etwas, Papa? Ich will dich nicht dort besuchen. Ich will, dass du hier bleibst. Hier bei mir.«
»Ich werde immer bei dir sein«, versicherte er ihr. Nur nicht auf diesem Planeten, fügte er in seinem Inneren an. »Du bist ein tapferes Mädchen. Das tapferste, das mir je begegnet ist. Und du wirst deinen Weg finden. Den ganzen Weg bis nach Hause. Versprich mir, dass du den Weg nach Hause finden wirst, ja?«
»Papa?« ihre Stimme flehte ihn an aufzuhören.
»Versprich es mir, bitte.« Nun drängten sich die Tränen auch in Aadils Augen.
»Ich verspreche es dir, Papa.«
»Und noch etwas«, Aadil holte tief Luft. »Es tut mir unendlich leid, dass ich dich hier her gebracht habe.« Er konnte kaum noch sprechen. Doch er musste noch eine Sache loswerden. Er blickte seiner kleinen Mayla tief in die Augen und sagte: » Ich habe nie jemanden mehr geliebt als deine Mama und dich. Ich will, dass Du das weisst, okay? Ich liebe dich, Mayla. Und ich werde Dich immer lieben, ja?«
Tapfer versuchte Mayla ihre Tränen zurückzuhalten. Dann sagte sie: »Ich weiss, Papa.«
Aadil spürte, wie ihm die Luft abgeschnürt wurde. Behutsam versuchte er sich zu beruhigen.
»Dann werd ich jetzt ein wenig schlafen, okay?«
»Okay.«
Ein leises Schluchzen begleitete ihre Worte. Sie wischte sich mit ihrem sonnenverbrannten Unterarm die Nase ab. Dann legte sie sich zurück auf Aadils Schoss und blickte hinauf in den Himmel.
Ein letztes Mal fing sie sanft an zu singen. Das Lied. Das Lied, das Yasha ihr jeden Abend zum Einschlafen vorgesungen hatte. Die Aufgabe, die später ihr Vater übernommen hatte. Oder Opa Ensar, wenn Aadil mal wieder erst spätnachts nach Hause gekommen war.
Im leichten Schaukeln des Wassers lag sie da. Und nun wiegte sie ihren geliebten Papa in den Schlaf. Mit einer Stimme so sanft, sie hätte von einem Engel sein können.
Seit sie von ihrem Daheim aufgebrochen waren, hatte Aadil nicht mehr eine solche Zuversicht in sich gespürt.
Seine kleine Mayla würde es schaffen. Da war er sich ganz sicher.
Und irgendwann würden sie sich wiedersehen.
In einem kleinen weissen Haus am Meer.
Aadil Abbas schloss seine Augen und schlief ein.
© Samuel Vetsch | 2020