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    »Eine Bombe! Wie aus heiterem Himmel, einfach so.« Der Nachbarsjunge keuchte und brachte kaum einen Satz hervor. Er war so schnell es ging die Strasse auf die Anhöhe hinauf gerannt.

    »Wann? Wo?« fragte Aadil entsetzt. Er war gerade aus der Dusche gekommen und stand nur mit einer leichten Hose bekleidet vor dem Haus.
   
    »Vor 10 Minuten! Unten im Zentrum!«
   
    »Yasha!«
   
    Sie hatte sich an jenem Morgen auf den Weg ins Dorf gemacht, um ein paar frische Köstlichkeiten vom Markt zu besorgen.
 
    Aadil hetzte seine Beine so schnell er konnte die Strasse hinunter. Schon von Weitem konnte er den Rauch erkennen. Als er näher kam, begriff er: Es war kein Rauch. Es war Staub. Staub von eingebrochenem Gemäuer. Staub, der sich auch eine Viertelstunde nach der Explosion noch nicht gelegt hatte. Je näher Aadil dem Dorfplatz kam, desto weniger konnte er erkennen.
 
    Der feine Staub klebte seine Augen zu und machte ihm das Atmen schwer. Dennoch schrie er so laut es ging nach Yasha. Es war erschreckend still. Aadil hatte sich auf panisches Kreischen eingestellt. Doch alles was er hören konnte, war hier und da ein leises Wimmern. Auf einem Trümmerhaufen sass eine alte Frau und betete. Ansonsten war die Strasse menschenleer.
 
    Erneut versuchte er seiner Stimme Gehör zu verschaffen: »Yasha! Wo bist du?«
 
    Staub drängte sich in seine Kehle und drohte ihm alle Atemwege zuzumauern. Sein Körper wurde von einem lauten Hustenanfall durchgeschüttelt. Erschöpft stolperte er über Trümmerteile und fiel zu Boden.
 
    Noch einmal versuchte er seine Lungenflügel mit lautem Husten vom Staub in der Luft zu befreien. Vergeblich. Einen Moment lang blieb er liegen und blickte zum Himmel hinauf. Dann hörte er sie.
 
    »Aadil?« flüsterte es aus dem Nebel.
 
    »Yasha?« Blitzschnell kämpfte er sich auf alle Viere und kroch ein paar Meter weiter. Da sah er sie. Eine Hand, die unter einem grossen grauen Steinbrocken hervorschaute. Behutsam tastete er sich weiter und blickte kurz darauf in Yashas Augen. Sie war bis zum Hals unter Steinen begraben.
 
    »Yasha!« wollte er schreien, doch seine Stimme versagte ihm erneut den Dienst.
 
    »Yasha, mein Engel. Ich bin hier. Ich werde dich hier rausholen.«
 
    »Aadil.« Sie brachte kaum ein Wort hervor. Die Steine drückten ihren Brustkorb mit voller Wucht zusammen. »Mein lieber Aadil. Es ist so schön dich zu sehen.«
 
    Ein herzhaftes Lächeln huschte über ihr Gesicht. So wunderschön. Aadils Herz brach in tausend Stücke. Doch sein Puls raste.
 
    »Yasha. Ich werde dich hier rausholen. Und dann ziehen wir in das Haus am Meer, ja? Du und Mayla und ich.«
 
    Er versuchte zu lächeln. Dann stand er auf und sah sich die Trümmer genauer an. Erst jetzt wurde ihm klar, wie gross die Brocken waren. Ganze Platten von Gebäudewänden hatten Yashas zerbrechlichen Körper begraben. Dann sah er es.

© Samuel Vetsch | 2020